Donnerstag, 24. September 2009

Superwahlreform oder Ueberhangmandate

1) Parteienzersplitterung

Das deutsche Parteiensystem ist der Krise nicht gewachsen. Die Parteienzersplitterung schreitet fort, nach bis jetzt 6 Parteien (CDU,SPD,CSU,FDP,Gruene,Linke) werden wahrscheinlich am 27. September 7 Parteien (vielleicht +Piratenpartei) in den Bundestag einziehen. Mühsame Machtwechsel nach 1949 waren nur durch ein Zünglein an der Waage möglich und nicht durch das Volk. Jetzt befinden wir uns in einer Schlechtwetterdemokratie, das Sozialprodukt schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt, man starrt bewegungslos auf die Finanzkrise und den Klimawandel, weltpolitisch kommt keine Einigung über effektive Maßnahmen zustande.1933 wäre Hitler bei englischer relativer Mehrheitswahl wohl nicht an die Macht gekommen. Die Krise lässt uns keine andere Wahl, als das personalisierte Verhältniswahlrecht in ein relatives Mehrheitswahlrecht zu ändern. Es geht jetzt nicht darum, über neue willkürliche Schranken wie die 5%Klausel oder über ein wenig mehr Personalisierung der Listen-Wahl oder über eine Reduzierung der idiotischen und verfassungswidrigen Überhangmandate nachzudenken, sondern ein neues Konzept muss her. Das Bundesverfassungsgericht hat allen Parteien im neuen Bundestag aufgegeben, mit einfacher absoluter Mehrheit einen Weg aus der Staatskrise zu finden.

2) Die Idee

Das 2:1/1:2 Wahlsystem im Dreipersonenwahlkreis: Die relative Mehrheitswahl im Einpersonenwahlkreis ["winner takes all" also das 1:0/0:1 System: entweder Partei A gewinnt und Partei B verliert oder im nächsten Wahlkreis ist es umgekehrt ] wird geändert zu einem 2:1/1:2 Wahlsystem im Dreipersonenwahlkreis, das heißt: der Wahlkreis wird auf drei Parlamentsabgeordnete vergrößert.

3) Die ausführliche Beschreibung der Idee

Jede Partei stellt zwei Kandidaten pro Wahlkreis auf: eine FRAU und einen MANN, also eine Liste von zwei Personen. In Vorwahlen [ d.h.: öffentlichen Wahlen zur Kandidatenaufstellung der jeweiligen Partei] wird über die Kandidaten und gleichzeitig über den ersten und zweiten Rang entschieden. Damit wird der Kandidat nicht im Hinterstübchen einer Parteibürokratie oder nur von Parteimitgliedern aufgestellt, sondern von einem größeren Teil der Bevölkerung, also allen politischen Sympathisanten wie in den USA.

Bei allgemeinen Wahlen hat jeder Wähler eine Stimme für eine Zweipersonenliste. Die Partei mit den relativ meisten Stimmen in einem Wahlkreis gewinnt und sendet zwei Abgeordnete ins Parlament: also eine Frau UND einen Mann. Die verlierende zweitstärkste Partei bekommt immerhin ein Minderheitenschutzmandat und sendet nur einen Abgeordneten ins Parlament: eine Frau ODER einen Mann, je nach dem in Vorwahlen verliehenen Vorrangstatus. Alle anderen Parteien gewinnen keine Sitze, wie es normal ist bei einem relativen Mehrheitswahlsystem.

Tendenziell würde dieses zu einem offenen landesweiten Zweiparteiensystem führen und insbesondere dadurch, dass sowohl die gewinnende erste Partei als auch die verlierende zweite Partei den Wahlkreis vertreten, regionale Hochburgen abbauen. Knappe Mehrheiten und die inhärente Chance zum Machtwechsel wären die Regel. Landesweit gäbe es keine übergroßen Mehrheiten und keinen Regionalismus der Parteien. Mehr als zwei Drittel für eine Regierungspartei wäre unmöglich, und ein Drittel der Sitze wären für Frauen und die Oppositionspartei mathematisch sicher.

In einer Übergangszeit sollten alle Wähler eine Präferenzstimme wie in Australien haben: eine Zweitstimme. Jeder sollte mit der Erststimme seine emotional bevorzugte Partei wählen und mit der Zweitstimme, welche der wahrscheinlich gewinnenden Parteien er am ehesten unterstützen könnte. Sollte seine mit der Erststimme gewählte Partei nicht den ersten oder zweiten Platz erreicht haben, kann seine Zweitstimme noch innerhalb der beiden gewinnenden Parteien den Ausgang beeinflussen. Im Endeffekt kann so das Endergebnis noch umgedreht werden: eine Partei, die im „primary vote“ zwei Abgeordnete hat, bleibt nach dem „preference vote“ auf nur einem Minderheitenschutzmandat sitzen.

Die Zweitstimme wird nicht gewertet, wenn bereits die Erststimme einen oder zwei Sieger gewählt hat. Die Erststimme wird wertlos, wenn sie einer Splitterpartei gegolten hat, die weder ein Zweierticket noch ein Minderheitenschutzmandat gewonnen hat. Weitere Zusatzbedingungen wären: Wahlkampfkostenbegrenzung, eine unabhängige Wahlkommission und die Wahlpflicht.

4) Die Utopie

Natürlich ist jede Idee solange eine Utopie, bis sie Wirklichkeit wird. Und selbst eine Realisierung dieser Idee in irgend einem Nationalstaat ist immer noch keine Lösung, wenn mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung noch keine Form der parlamentarischen Demokratie genießt, sondern von autoritären bis zu totalitären Staatsformen daran gehindert wird, sich zu äußern oder eine vernünftige Zusammenarbeit anzustreben. Nicht zufällig schrieb Immanuel Kant "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in staatsbürgerlicher Absicht“und "Zum ewigen Frieden". Kant glaubte, dass sich die Vernunft langsam durchsetzen würde. Es bleibt 200 Jahre später immer noch ein Traum: Demokratie auf der ganzen Welt. Demokratie als System der Macht auf Zeit. Tendenziell 50% weibliche Abgeordnete und 50% männliche Abgeordnete. Tendenziell knappe Mehrheiten in den Wahlkreisen und in den Parlamenten. Jede 4 Jahre besteht die Chance zum Machtwechsel. Die Angst vor dem Machtverlust führt zu mehr Vernunft und Rationalität. Ein Drittel der Mandate ist immer und überall der Opposition sicher. Auch ist ein Drittel garantiert für weibliche Parlamentsabgeordnete unabhängig von der Parteienzugehörigkeit . Oder falls jemals eine Frauenrevolution geschähe, ein Drittel der Mandate ist ebenso garantiert für männliche Abgeordnete.

5) Die Evolution der Vernunft?

Die Evolution des Menschen lässt uns keine Wahl, als an die Durchsetzbarkeit der Vernunft zu glauben. Die Entstehung der Demokratie vor 2500 Jahren in Griechenland hatte eine Explosion der Vernunft ausgelöst. Eine Entdeckung nach der anderen jagte die Wissenschaft voran. Die alte Frage, ob sich die Geschichte der Menschheit vorwärts bewegt, ist schwierig zu beantworten. Zu viele unsinnige Kriege, zu viele Krankheiten und Epidemien, zu viele Hungersnöte und zu viele Diktaturen haben die Mehrheit der Menschheit gequält und tun es heute noch.

Es ist schwierig, im Angesicht der Welt, so wie sie ist, noch Optimist zu bleiben. Dennoch ein Gefühl ist überwältigend: der Ruf nach einer friedvollen Weltgemeinschaft ist nicht von der Hand zu weisen (siehe Kant). Eine friedvolle Weltgemeinschaft ist aber nur unter Demokratien denkbar.

Es gab so viele Momente in der Geschichte, in denen sich die Menschen wieder in die Steinzeit hätten zurück bewegen können: Man denke nur, die christlichen Mönche hätten nicht all die griechischen Texte abgeschrieben und erhalten. Oder die islamischen Gelehrten hätten nicht das Papier und die arabischen und indischen Zahlen nach Europa gebracht. Oder die Menschen zwischen Euphrat und Tigris hätten nicht die Keilschrift erfunden, und später die Phönizier nicht die Konsonantenschrift.
Dass sich trotz allem jetzt eine Welt bietet, die die Vereinten Nationen hat, Menschenrechte formuliert hat, einige freie Gesellschaften mit Demokratie und Rechtsstaat gebildet hat, grenzt an ein Wunder. Oder an einen glücklichen Zufall, weil in der Erdgeschichte vor Hunderten Millionen von Jahren in wechselnden Vereisungen und Übertemperaturen nicht das Leben selbst ausgelöscht worden ist.

(weitere Informationen: http://www.2009-de.com oder/und
http://www.webnews.de/kommentare/492987/0/Lafontaine-oder-Superwahlreform-im-Superwahljahr-ARidder-an-RD-Precht.html oder/und

http://www.yigg.de/politik/superwahlreform-oder-ueberhangmandate-weg-aus-der-krise )

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