Sonntag, 29. Juli 2012

Der grosse Wurf

In vielen Artikeln über die EURO-Krise keimt immer wieder der Wunsch hoch: Wären wir doch in der Lage, die politische Union in Europa zu schaffen. Mehr Demokratie wagen! Schluss mit dem Demokratiedefizit in Brüssel!

Aber dann bleibt immer noch die große Frage: Nach welchem Wahlrecht sollen wir dann in Europa wählen? Nach der jetzt gültigen ungerechten degressiven Verhältniswahl oder nach der französischen Mehrheitswahl? Die letztere wäre ein einfaches verständliches Wahlrecht. Für die Europawahl hat das Bundesverfassungsgericht 2011 die 5%-Klausel für verfassungswidrig erklärt.

Nun hat das Verfassungsgericht in Karlsruhe den Deutschen die Verfassungswidrigkeit der Überhangmandate ins Bewusstsein geschrieben. Der Staatsrechtler VON ARNIM hat mit Recht gesagt, dass die jetzt als Lösung zugestandenen 15 Überhangmandate auch nur eine „politische Kompromissentscheidung“ sind.

Warum jetzt nicht der große Wurf? Der große Wurf für Deutschland und dann der große Wurf für Europa! Es hieße der große Schritt zu einem Mehrheitswahlrecht in Deutschland und dann in einem Schulterschluss mit Frankreich das Mehrheitswahlrecht für Europa.

In Deutschland hieße es: Weg mit den verrückten Überhangmandaten! Eine ganz einfache Persönlichkeitswahl in Wahlkreisen. Jeder hat eine Stimme. Jede Stimme ist gleich. Die absolute Mehrheit siegt. Entweder in zwei Wahlgängen wie in Frankreich. Oder in einem Wahlgang plus Vorzugsstimme wie in Australien. Frankreich oder Australien wären schon ein Riesenfortschritt in Demokratie.

Oder die absolute Mehrheitswahl in Dreipersonenwahlkreisen. Jede Partei oder jede Gruppierung stellt zwei Kandidaten in einem Wahlkreis auf: einen Mann und eine Frau oder umgekehrt. Die siegende Partei gewinnt zwei Mandate und die zweitstärkste Partei ein Minderheitenschutzmandat. In Vorwahlen für die Kandidatenaufstellung wird bestimmt, wer den ersten Platz auf einer Zweierliste hat. Es gewinnen entweder Mann und Frau einer Partei oder der erstplazierte Kandidat der zweitstärksten Partei in einem Wahlkreis. Selbst wenn die Männer in allen Vorwahlen auf Platz 1 gewählt würden, wären immer noch ein Drittel Frauen im Parlament, mittelfristig 50%. Das wäre mathematisch sicher. Dann wäre Frau Merkel nicht mehr die einzige Bundeskanzlerin in vielen Jahren.

Man darf ja mal träumen von dem großen Wurf: Die Deutschen denken, dass sie mit der personalisierten Verhältniswahl allen anderen voraus sind. Dabei zeigen die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, dass sie ein Widerspruch in sich ist. Auf der Welt gibt es so viele Wahlsysteme, wie es Länder gibt. Relative oder absolute Mehrheitswahl in Einpersonenwahlkreisen (GB, USA, Canada, Indien, Frankreich, Australien) und Verhältniswahl in Mehrpersonenwahlkreisen in allen anderen Ländern oder im Extrem: ein Land als ein Wahlkreis.

Die Vorteile der Mehrheitswahl überwiegen die Nachteile: 1)Es gäbe langfristig in Deutschland und Europa mehr Demokratie. 2)Einen häufigeren Machtwechsel zwischen Regierung und Opposition. 3)Es kann, muss aber nicht zu einem Zweiparteiensystem führen, siehe Frankreich und Australien. 4)Durch Vorwahlen bei der Kandidatenaufstellung wäre aber mehr Demokratie gesichert. 5)Es wären mehr Frauen im Parlament. 6)Es würden immer mehr regionale Hochburgen abgebaut. Das wäre wichtig für die Denationalisierung in Europa. 7)Ideologen von links und rechts sowie Interessenparteien wären auf dem Rückzug.

In Deutschland genügt die einfache Mehrheit im Bundestag für den Wechsel. Und bei einem Mehrheitswahlrecht für die EURO-Zone-Mitglieder hätten wir eine zentrale Regierung und eine unabhängige Notenbank. Und die EZB würde den EURO zur großen Währung machen. Keiner würde mehr reden von Transferunion, sondern die Länder ständen Schlange an den Toren zu Europa: Lasst uns rein! Würden sie rufen, GB an erster Stelle.