Dienstag, 21. Juli 2009

Wahlreformvorschlag www.2009-de.com

1) Mehrheitswahl und Verhältniswahl

Es gibt in der Welt im Prinzip zwei Wahlsysteme: Mehrheitswahl und Verhältniswahl. Bei Mehrheitswahl siegt eine Person mit den relativ meisten oder absolut meisten Stimmen in einem Wahlkreis. Bei Verhältniswahl siegen mehrere Listen von vielen Personen in einem Mehrpersonenwahlkreis, im Extremfall ist das ganze Land ein Wahlkreis und alle Parlamentsabgeordneten werden darin verteilt. Die Mandate werden bei Verhältniswahl relativ zu dem Anteil der Stimmen verteilt, mit Hilfe verschiedener mathematischer Formeln z.B. von d’Hondt, Niemeyer usw, die jeweils auf verschiedene Weise mehrheitsbildend wirken. Während die Mehrheitswahl eine Persönlichkeitswahl darstellt und alle jeweiligen Verlierer leer ausgehen, fördert die Verhältniswahl ein Vielparteiensystem, und jeder fühlt sich irgendwie als Gewinner. Es wird immer wieder versucht, eine Kombination zwischen beiden Systemen herzustellen, vor allem weil beide Systeme ihre Mängel haben.

Für die Mehrheitswahl stehen als leuchtende Beispiele die USA, England, Indien, Australien usw. Für die Verhältniswahl stehen viel mehr Länder, manche mit Sperrklausel oder personalisierten Elementen, mit vielen Variationen, die nur Experten verstehen. In Indonesien, das die reine Verhältniswahl von den Holländern unwissend übernahm, kamen 1955 überraschend 28 Parteien ins Parlament, darunter extreme ideologische und religiöse Parteien, Protestparteien, Interessen oder Ein-Thema-Parteien, und regionale Parteien. In den Niederlanden blockiert immer noch ein Vielparteiensystem jeden vom Volk bestimmten Machtwechsel. Eine Regierungsbildung dauert immer noch Monate, jetzt erhebt der rechtsradikale Geert Wilders sein Haupt. In diesem Umfeld schauen die Niederländer immer verzweifelt auf die Königin. In Belgien schafft es noch nicht einmal der König!

2) Dreipersonenwahlkreis

Bislang gibt es bei Mehrheitswahl im Einpersonenwahlkreis nur die zwei Möglichkeiten: entweder wer die relativ meisten Stimmen auf sich vereinigt oder wer die absolut meisten Stimmen auf sich vereinigt, gewinnt den Wahlkreis. Im zweiten Fall ist meistens noch ein zweiter Wahlgang erforderlich. Theoretisch könnte diese Persönlichkeitswahl ohne Parteien stattfinden, es gäbe also ein Parlament von Persönlichkeiten. So war es im alten Griechenland. In der Praxis stellen jedoch Parteien A, B, C, D, E usw. jeweils eine Person auf, und dies führt in der Regel mehr oder weniger zu einem Zweiparteiensystem. Dann gewinnt entweder Partei A oder B landesweit, siehe USA, England, aber nicht in einer heterogenen Gesellschaft wie Indien. Manchmal gewinnt dort jedoch auch eine Partei die Mehrheit der Sitze.

Der Nachteil dieses Systems bei homogenen Gesellschaften führt dazu, dass Partei A in dieser Region und Partei B in jener Region übergroße Mehrheiten gewinnt, also Hochburgen ausbildet. In Singapur führt die Mehrheitswahl dazu, dass eine Partei fast 99 % der Sitze gewinnt. Ist der Vorsprung (bias) relativ groß, braucht praktisch bei der nächsten Wahl nicht mehr viel Aufmerksamkeit, Energie und Aufwand in diesen Wahlkreis gesteckt zu werden. Der Wahlkampf konzentriert sich auf nur wenige unsichere Wahlkreise, wie z.B. letztes Jahr bei der Präsidentenwahl in den USA.

Es ist ein neuer Gedanke, die relative Mehrheitswahl im Dreipersonenwahlkreis durch zu führen. Dann müssten Parteilisten von jeweils zwei Personen miteinander konkurrieren. Es würde eine Liste von zwei Personen mit den relativ meisten Stimmen gewinnen, und die relativ zweitstärkste Liste von zwei Personen nur eine Person ins Parlament schicken. Es wäre also ein Minderheitenschutzmandat. Landesweit kann das zwischen verschiedenen Parteien variieren. Es müsste vorher festgelegt werden, wer den ersten Rang auf der Zweierliste einnimmt.

Dieses 2:1/1:2 System (2 x Partei A zu 1 x Partei B gewinnt in diesem oder 1 x Partei A zu 2 x Partei B gewinnt in jenem Wahlkreis) ist deshalb besser als das alte 1:0/0:1 System (Partei A gewinnt in diesem oder Partei B gewinnt in jenem Wahlkreis), weil es übergroße regionale Mehrheiten abbaut. Dadurch daß sowohl Partei A wie auch Partei B den Wahlkreis vertreten, verfestigt sich die Parteienstruktur nicht, sondern wird im Gegenteil abgebaut, und kann es bei der nächsten Wahl umgekehrt oder ganz anders aussehen.

Im Grunde wäre mit diesem Dreipersonenwahlkreis in allen Wahlkreisen, d. h. im ganzen Land, der Wettbewerb wiederhergestellt. Die inhärente Chance zum Machtwechsel wäre größer und demokratischer. Auch die Identifikation von Regionen, Ethnien, Religionen, Interessen usw. mit diesen oder jenen Parteien würde verblassen. Und der Wahlkampf müsste wieder in allen Wahlkreisen stattfinden.

Auch die Vorteile der Persönlichkeitswahl (Zwei Persönlichkeiten) blieben wie bei relativer Mehrheitswahl erhalten; auch die Tendenz zu einem Zweiparteiensystem und damit die Möglichkeit, dass das ganze Land über einen Machtwechsel abstimmt und nicht nachher Kleinstparteien in Koalitionen („Zünglein an der Waage“).

Ein weiterer Vorteil wäre, dass der Oppositionspartei immer ein Drittel der Mandate garantiert wären und die Mehrheitspartei nie mehr als zwei Drittel der Sitze bekäme. Zwei Drittel + einer Stimme sollte deshalb für Verfassungsänderungen gelten.

3) Mann und Frau

Damit könnte man es eigentlich belassen, aber bei dem Dreipersonenwahlkreis drängt sich ein Gedanke auf: Wäre es nicht geradezu ideal, auf der Zweierliste immer einen Mann und eine Frau aufzustellen? Es geht hier nicht um Rassen oder ethnische Gruppen oder Religionen oder sonst was, sondern um die Tatsache, dass selbst im 21. Jahrhundert., d. h. im Jahre 2008, Frauen immer noch nur 18,3 % der Parlamentssitze weltweit innehaben. Dabei brauchten Frauen 2400 Jahre, um überhaupt wählen zu können und wählbar zu sein. Sie waren in Griechenland nicht zur Wahl zugelassen, seitdem die Demokratie vor 2500 Jahren in Griechenland erfunden wurde. Man könnte also sagen, diese Regelung braucht nur weitere 2400 Jahre zu gelten. Vielleicht ist dann die Diskriminierung der Frau zu Ende! Es würde dazu führen, dass ein Drittel der Mandate den Frauen mathematisch sicher wäre, selbst wenn sie in allen Wahlkreisen niemals an erster Stelle gesetzt würden. Tendenziell würde dies auf mittlere Sicht zu 50 % der Sitze für Frauen führen.

4) Amerikanische Vorwahlen

Sowie sich der Gedanke der Aufstellung von Mann und Frau auf der Zweierliste geradezu aufdrängt, drängt sich ebenso auch das System der Vorwahlen aus Amerika auf. In Vorwahlen würde dann die Vorrangstellung Mann oder Frau demokratisch festgelegt. Wer zu den großen Parteien gehört und an erster Stelle aufgestellt wird, hat die größere Chance, gewählt zu werden. Der zweite Platz auf der Zweierliste führt also nur bei einem „landslide“, d.h. Erdrutsch, zu einem Mandat.

Außerdem wären Vorwahlen generell besser als nur Parteimitgliedschaft zur Aufstellung von Kandidaten: nur weniger als 2% der Bevölkerung wollen Mitglied einer Partei werden, und dann nehmen nur geringfügig wenig Parteimitglieder an der Kandidatenaufstellung teil. Oder es wird ganz von „oben“, von der Parteibürokratie, geregelt. Bei Vorwahlen nehmen bis zu 10 % der Bevölkerung, also derjenige Teil, der sich als Parteisympathisant registrieren lässt, an der Kandidatenaufstellung teil.

5) Australisches `preference vote`

Die australische Präferenz-Stimme bietet sich dann besonders an, wenn es sich nicht um einen Übergang vom Einpersonen-Wahlkreis zum Dreipersonen-Wahkreis bei relativer Mehrheitswahl handelt, sondern wenn es sich um einen Übergang von einem Mehrparteiensystem mit vorwiegend Verhältniswahlcharakter zu einem Dreipersonen-Wahlkreis unter relativer Mehrheitswahl handelt. Dann hätte jeder Wähler zusätzlich noch eine Präferenz-Stimme. Mit seiner ersten Stimme würde er die von ihm emotional oder ideologisch oder religiös gewollte Interessenpartei wählen und mit seiner Zweitstimme, welche der wahrscheinlich gewinnenden Volksparteien er am ehesten unterstützen könnte.
Auf diese Weise könnte er sowohl im Wahlkreis als auch landesweit mit entscheiden, welche Partei nun das Zweipersonenticket und damit auch die Mehrheit erhält. Damit würde er auch einen Machtwechsel landesweit beeinflussen.

Seine erste Stimme wäre wertlos, wenn er damit nur eine Splitterpartei gewählt hätte. Seine zweite Stimme wäre wertlos, wenn er schon mit seiner ersten Stimme eine Partei gewählt hätte, die entweder das Zweierticket oder das Minderheitenschutzmandat gewonnen hätte. Seine erste und zweite Stimme wären wertlos, wenn er zweimal Parteien gewählt hätte, die weder die relativ stärkste noch die relativ zweitstärkste Partei geworden wären. Das ist bei relativer Mehrheitswahl normal, dass nur einer gewinnt. Bei dem Dreipersonenwahlkreis gewinnen zwei. Bei Verhältniswahl gewinnen alle und damit keiner: oder eine bürokratische Elite schafft sich durch verschiedene Barrieren (2 %, 3 %, 4 %, 5 % Klausel) einen Freiraum oder macht dann Gräben (Grabensystem) oder Erfolgsprämien (Italien). Deshalb wird in Verhältniswahlsystemen immer soviel verändert, dass keiner mehr durchblickt. Man denke nur in Deutschland an die 5 % Klausel oder an die Überhangmandate!

Verhältniswahl ist nur eine Volksbefragung, wobei gewisse Themen, ideologische oder radikale Stammtischparolen oder religiöse, überwiegen. Dass Demokratie Macht auf Zeit ist und Mehrheiten durch das Volk entschieden werden müssen und nicht durch Koalitionen und Kuhhandel nach der Wahl, wird dabei vergessen.

Die letzte Präsidentenwahl in den USA hat eindeutig gezeigt, dass Vorwahlen und nachher die allgemeine Wahl am ehesten die Mehrheitsmeinung widerspiegeln. Obama war ein Grundkurs in Demokratie. Man müsste den Dreipersonenwahlkreis nur noch auf den Kongress und den Senat ausdehnen, um die Teilung in „red and blue states“ zu überwinden. Dann hätte auch Hillary Clinton gesiegt und den Frauen in den USA zum Durchbruch verholfen. In den USA wurden 2008 nur 17 % der Frauen Parlamentsabgeordnete. Dann würde auch ein weiblicher Präsident in kommenden Wahlen in realistische Nähe rücken.

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